Rund 100.000 jüdische Soldaten kämpften im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Kaiserreich, 12.000 von ihnen verloren dabei ihr Leben. Die anfängliche Kriegsbegeisterung der jüdischen deutschen Bevölkerung unterschied sich nicht von jener der Christinnen und Christen, dennoch schürten Antisemiten das Gerücht, jüdische Männer würden sich in großer Zahl dem Wehrdienst entziehen. Der spätere Reichskanzler und Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann prophezeite 1917 den Beginn einer antisemitischen Bewegung [...], wie sie noch nie dagewesen ist“¹.

Siegfried Löwenstein

Seit 1868 lebte die Familie Löwenstein, die eine Schlachterei betrieben, in Syke. 1894 übernahm Otto Löwenstein den Familienbetrieb an der Herrlichkeit 13 von seinem Vater Salomon, später unterstützten Siegfried Löwenstein und seine Frau Dora, geb. Stern, die nicht näher mit Lisbeth Löwenstein verwandt waren, den Senior des Hauses. Vor seiner Heirat im Jahr 1919 zog Siegfried als Soldat in den Ersten Weltkrieg.

Auch Dora Löwenstein, die aus der Nähe von Osnabrück stammte, hatte im Lazarett gedient. Dora und Siegfried Löwenstein, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse, kehrten als angesehene Bürgerinnen und Bürger nach Syke zurück. Daran, dass Siegfried dem schwer verwundeten Heinrich Vehring, später Leiter der örtlichen AOK, an der Front das Leben rettete, erinnerte man noch 1952 in einem Nachruf auf den Versicherungskaufmann. Die Schlachterei Löwenstein genoß in Syke einen guten Ruf, auch, weil die Familie in den wirtschaftlich schwierigen Jahren der Zwischenkriegszeit vielen Mitmenschen geholfen hatte.

1935 stellte der Landrat Fürbringer gerade am Beispiel der Löwensteins fest, dass die örtliche Bevölkerung zumindest in Teilen Unverständnis gegen den umgreifenden Anitsemitismus zeigte, wenn er sich gegen angesehene jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger richtete. Dennoch wurden Alltag und Geschäftsbetrieb zunehmend belastet, so dass die Familie 1937 ihr Eigentum verkaufte und nach Bremen zog. Am 18. November 1941 wurden Dora, Siegfried und dessen Schwester Hanni (Otto Löwenstein war bereits 1939 verstorben) in das Ghetto Minsk deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Sie wurden entweder Opfer der systematischen Massenmorde, die ab Ende 1942 dokumentiert sind oder starben schon zuvor an den unmenschlichen Bedingungen vor Ort. Grete, Tochter von Dora und Siegfried, wurde 1944 oder 1945 im Vernichtungslager Stutthof ermordet.

Siegfried Löwenstein (rechts) und seine Familie vor seiner Schlachterei an der Herrlichkeit in Syke (Quelle: Margret Radtke, Syke, gedruckt in: Greve, Hermann: Stolpersteine. Der Erinnerung einen Namen geben, Syke 2007, hier S. 40.)
Siegfried Löwenstein (2. v. l.) mit Freunden aus Syke (Quelle: Margret Radtke, Syke, gedruckt in: Greve, Hermann: Stolpersteine. Der Erinnerung einen Namen geben, Syke 2007, hier S. 39.)

Hermann Kastens aus Barrien berichtete 1982 dem Archivar und Historiker Hermann Greve von seinen Erinnerungen an die Familie Löwenstein:

Siegfried und Dora Löwenstein [...] sind bis heute vielen Sykern in Erinnerung geblieben vor allem auch die Aktionen, die man gegen sie und ihr Schlachtergeschäft in der Herrlichkeit Nr. 13 unternahm. Kunden wurden vor der Ladentür abgefangen, im Stürmer-Kasten öffentlich angeprangert, Scheiben im Haus der Familie Löwenstein eingeworfen. Daß man das Ehepaar nicht durch die Stadt trieb, ist ihrer eigenen Courage zu verdanken: Als eines Tages SA-Männer erschienen, um sie zu einem Spießrutenlauf durch die Straßen Sykes abzuholen, erbaten sie etwas Zeit, um sich anzukleiden. Kurz darauf kehrten sie zurück: Siegfried Löwenstein, in schwarzem Anzug und dekoriert mit seinen Orden aus dem 1. Weltkrieg, seine Frau Dora in Schwesterntracht. Betroffen machten die SA-Männer auf dem Absatz kehrt und ließen für diesen Tag die Familie Löwenstein unbehelligt.

Dokumentiert von Hermann Greve, in: Vergessen, verdrängt, verneint ... Stationen jüdischen Lebens in Syke, Brinkum, Leeste, Kirchweyhe, in: Als die Synagogen brannten. Der Judenpogrom vom 9./10. November 1938 in Deutschland und im Kreis Diepholz. Seine Vorgeschichte und seine Folgen, Syke 1988, S. 27–96, hier S. 79.

Wörtliche Zitate entnommen aus:

¹ Asmuss, Burkhard; Leicht, Johannes: Die "Judenzählung" von 1916, Berlin 2014, Online unter: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/innenpolitik/judenzaehlung-1916.html